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VERSORGUNGSWIRTSCHAFT
HEFT 1 2018
WIRTSCHAFTSRECHT
Rechtsprechung
Energiewirtschaftsrecht
DokNr. 18004527
Zur Berechnung des Netzentgelts für
dezentrale Stromeinspeisung – vorgelagerte
Netzebene
– BGH, Beschluss vom 20.06.2017 – EnVR 40/16 – Heizkraft-
werk Würzburg GmbH –*
Leitsatz des Gerichts:
Die vorgelagerte Netzebene im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 2
StromNEV muss nicht zwingend eine höhere Ebene sein als
die Ebene des Netzes, in der die dezentrale Einspeisung er-
folgt. Eine Netzebene ist vielmehr auch dann vorgelagert,
wenn sie von einem anderen Netzbetreiber betrieben wird
und deshalb für die Einspeisung in das nachgelagerte Netz
ein Entgelt anfällt, das durch die dezentrale Einspeisung
vermieden wird.
Sachverhalt:
[1] I. Die Antragstellerin betreibt ein Heizkraftwerk, das an
das von der Antragsgegnerin betriebene Elektrizitätsvertei-
lernetz in der Hochspannungsebene (110 Kilovolt, Ebene 3
im Sinne der Anlage 3 zur Stromnetzentgeltverordnung) an-
geschlossen ist. Das Netz der Antragstellerin ist in derselben
Ebene an das vorgelagerte Verteilernetz der Bayernwerk AG
angeschlossen.
[2] Seit Januar 2015 berechnet die Antragsgegnerin das nach
§ 18 StromNEV zu zahlende Entgelt – in Übereinstimmung
mit der von der Bundesnetzagentur vertretenen Rechtsauffas-
sung – nach dem Preisblatt der Bayernwerk AG für die Um-
spannebene Höchst-/Hochspannung (Ebene 2). Dies führt für
die Antragstellerin im Vergleich zur zuvor praktizierten Ab-
rechnung nach dem Preisblatt der Bayernwerk AG für die
Ebene 3 zu Mindererlösen.
[3] Die Antragstellerin hat begehrt, der Antragsgegnerin im
Rahmen eines Missbrauchsverfahrens nach § 31 EnWG die
Berechnung nach dem Preisblatt für die Ebene 3 aufzugeben.
Die Bundesnetzagentur hat diesen Antrag zurückgewiesen.
[4] Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das Beschwer-
degericht die ablehnende Entscheidung aufgehoben und die
Bundesnetzagentur zur Neubescheidung verpflichtet. Da-
gegen wendet sich die Bundesnetzagentur mit der vom Be-
schwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, der die
Antragstellerin entgegentritt.
Aus den Gründen:
[5] II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
[6] 1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung im We-
sentlichen wie folgt begründet:
[7] Zu Unrecht habe die Antragsgegnerin zur Ermittlung des
vermiedenen Netzentgelts das Preisblatt für die Umspann-
ebene von Höchst- zu Hochspannung zu Grunde gelegt. Der
nach § 18 Abs. 1 Satz 2 StromNEV maßgebliche Begriff »vor-
gelagerte Netz- oder Umspannebene« sei nicht nur span-
nungsbezogen, sondern daneben auch netzbetreiberbezogen
auszulegen. Zwar spreche der Wortlaut eher für eine span-
nungsbezogene Auslegung. Er schließe es aber nicht aus,
den Begriff »Netzebene« in bestimmten Situationen auch netz-
betreiberbezogen zu verstehen. Für eine solche Auslegung
sprächen die Begründung des Verordnungsentwurfs, die Ent-
stehungsgeschichte der Norm, ihre Systematik und ihr Sinn
und Zweck. Entgegen der Auffassung der Bundesnetzagen-
tur ergebe sich aus Art. 3 GG keine abweichende Beurtei-
lung.
[8] 2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung
stand. Das Beschwerdegericht ist rechtsfehlerfrei zu dem
Ergebnis gelangt, dass das der Antragstellerin gemäß § 18
Abs. 1 StromNEV zustehende Entgelt für dezentrale Einspei-
sung anhand des Preisblatts für die Hochspannungsebene zu
berechnen ist.
[9] Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 StromNEV muss das Entgelt für
dezentrale Einspeisung den Netzentgelten entsprechen, die
gegenüber den vorgelagerten Netz- oder Umspannebenen
durch die jeweilige Einspeisung vermieden werden. Als vor-
gelagerte Ebene in diesem Sinne ist die Netz- oder Um-
spannebene des vorgelagerten Netzes anzusehen. Entgegen
der Auffassung der Bundesnetzagentur muss dies nicht zwin-
gend eine höhere Ebene sein als die Ebene des nachgelager-
ten Netzes, in das die dezentrale Einspeisung erfolgt. Eine
Netzebene ist vielmehr auch dann vorgelagert, wenn sie von
einem anderen Netzbetreiber betrieben wird und deshalb für
die Einspeisung in das nachgelagerte Netz ein Entgelt an-
fällt, das durch die dezentrale Einspeisung vermieden wird.
[10] a) Wie das Beschwerdegericht zutreffend ausgeführt
hat, ist der Wortlaut der Vorschrift nicht eindeutig.
[11] Die Begriffe »Netzebene« und »Umspannebene« knüp-
fen allerdings an bestimmte Spannungsbereiche und damit
an technische Sachverhalte an. Netzebenen sind nach § 2
Nr. 10 StromNEV die Bereiche von Elektrizitätsversorgungs-
netzen, in welchen elektrische Energie in Höchst-, Hoch-,
Mittel- oder Niederspannung übertragen oder verteilt wird.
Umspannebenen sind nach § 2 Nr. 12 StromNEV sinngemäß
die Bereiche, in denen die Spannung zwischen zwei benach-
barten Netzebenen umgewandelt wird.
[12] Daraus ist jedoch nicht eindeutig zu entnehmen, worauf
sich der Begriff »vorgelagert« bezieht. Die an technischen
Gegebenheiten orientierte Definition in § 2 Nr. 10 StromNEV
mag zwar nahelegen, dass nur höhere Netz- oder Umspann-
ebenen als vorgelagert angesehen werden können. Der Wort-
laut lässt indes auch das Verständnis zu, dass als Vergleichs-
objekt das nachgelagerte Netz anzusehen ist, in das die
dezentrale Einspeisung erfolgt – unabhängig davon, ob die-
ses Netz zu einer anderen Ebene gehört als das vorgelagerte
Netz.
[13] b) Die Systematik der Stromnetzentgeltverordnung führt
ebenfalls nicht zu einem eindeutigen Ergebnis.
[14] Für eine nicht allein an der Spannungsebene orientierte
Auslegung spricht allerdings, wie das Berufungsgericht zu-
treffend dargelegt hat, der auch von der Rechtsbeschwerde
nicht in Zweifel gezogene Umstand, dass eine Kostenwäl-
zung auf das nachgelagerte Netz gemäß § 14 StromNEV
auch dann stattfindet, wenn das vorgelagerte Netz auf dersel-
ben Netzebene betrieben wird. Hieraus ergeben sich indes
keine zwingenden Schlussfolgerungen. Der Betreiber des nach-
gelagerten Netzes hätte die auf seine Entnahme entfallenden
Kosten nämlich auch dann zu tragen, wenn er als Weiterver-
teiler im Sinne von § 14 Abs. 1 StromNEV zu qualifizieren
wäre.
* Vorinstanz: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 31.08.2016 – VI-3 Kart 116/15
(V), VW-DokNr. 16001832.