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Titel: Prozesse im Takt, Verträge im Blick – Herausforderungen des Lieferantenwechsels in 24 Stunden
Datum: 01.06.2025
Artikeltyp: Aufsätze
Dokumentennummer: 25090350 ebenso Versorgungswirtschaft, Heft 06/2025, Seite 157

Prozesse im Takt, Verträge im Blick – Herausforderungen des Lieferantenwechsels in 24 Stunden

RAin Janka Schwaibold und RAin Neele Appel, Hamburg[1]

Die bis zum 06.06.2025 verpflichtend umzusetzende Einführung des 24-Stunden-Lieferantenwechsels markiert einen grundlegenden Wandel in der Energieversorgung. Kunden können werktags nahezu nahtlos den Stromanbieter wechseln, was Wettbewerb und Markttransparenz stärkt. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an Vertragsklarheit, Datenqualität und IT-Systeme aller Marktrollen. Rückwirkende Anmeldungen sowie asynchrone Prozesse entfallen und machen eine höhere Prozessdisziplin erforderlich. Der Vertrag bleibt dabei zentral: Nur rechtlich zulässige Änderungen sind technisch umsetzbar. Energieversorger sind gefordert, ihre Systeme und Abläufe frühzeitig anzupassen, um spätestens ab dem 01.01.2026 gesetzeskonform, effizient und kundenorientiert agieren zu können.

1. Einleitung

Der 24-Stunden-Lieferantenwechsel ist ein bedeutender Schritt hin zu mehr Flexibilität für Energieverbraucher. Während früher ein Wechsel des Energieversorgers oft mehrere Wochen in Anspruch nahm, ermöglicht die neue Regelung nun einen nahezu nahtlosen Übergang innerhalb eines Werktages – sofern dies mit den Vertragsvereinbarungen in Einklang steht. Die Einführung dieses beschleunigten Wechselprozesses geht auf gesetzliche Vorgaben im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) sowie auf Vorgaben der EU[2] zurück, die auf einen wettbewerbsfähigeren und verbraucherfreundlicheren Energiemarkt abzielen. Ziel ist es, Wechselbarrieren zu senken, den Wettbewerb unter den Energieanbietern zu fördern und dadurch letztlich die Position der Endkunden zu stärken. In diesem Aufsatz werden die Auswirkungen des 24-Stunden-Lieferantenwechsels (im Folgenden 24h-Lieferantenwechsel) auf die Prozesse der Marktkommunikation zwischen den Marktpartnern und die vertragliche Ebene zwischen Lieferant und Kunden näher beleuchtet.

2. Das Wichtigste vorweg

2.1 Vier wesentliche take aways

  • Auch wenn sich die Marktprozesse verkürzen, bestimmt sich Beginn, Ende und konkreter Inhalt des Lieferverhältnisses zwischen Lieferanten und Letztverbrauchern nach dem zugrunde liegenden Vertrag oder gesetzlichem Versorgungsverhältnis.
  • Im Idealfall sind diese Vorgaben innerhalb der Prozessvorgaben umsetzbar. Wenn nicht, führt im Zweifel der Vertrag. Eine rückwirkende Änderung oder Korrektur der Prozesse entfällt nun im Regelfall.
  • Die Verkürzung der Prozesse führt insbesondere dazu, dass eine Klärung von Problemfallen, z.B. die unklare Identität des Vertragspartners in der Grundversorgung, die konkrete, mit dem Kunden vereinbarte Kündigungsfrist oder die zu spät mitgeteilte Umzugsmeldung, nicht mehr während des laufenden Prozesses und rückwirkend möglich ist.
  • Das erfordert eine Neudisziplinierung der internen Versorgerprozesse neben der Marktkommunikation, aber auch eine Sensibilisierung der Kunden.

2.2 Die Hausaufgabe im Vertrieb: Know your Contract

Die vertragliche Situation zwischen Lieferanten und Letztverbrauchern ist zunächst unabhängig von den Veränderungen im Rahmen der Marktprozesse durch den 24h-Lieferantenwechsel. Die gesetzlichen und vertraglichen Kündigungsfristen sind weiterhin zu beachten (z.B. bei einem Sondervertrag nach Ablauf einer Erstlaufzeit für einen Verbraucher max. 1 Monat, bei einem Grundversorgungsvertrag 2 Wochen). Der Vertrag ist die Grundlage für die Zuordnungsberechtigung im Rahmen der Marktprozesse, denn die Marktprozesse müssen stets entsprechend der vertraglichen Gegebenheiten ausgeführt werden. So kann es sein, dass theoretisch die Möglichkeit eines kurzfristigen prozessualen Wechsels besteht, diese etwa aufgrund einer Kündigungsfrist aber praktisch nicht umsetzbar ist. Hier muss der bisherige Lieferant in der Lage sein, automatisiert oder zumindest sehr kurzfristig eine Entscheidung auf Grundlage des individuellen Vertragsverhältnisses zu treffen. Zu klären ist zunächst, ob auf Ebene des Liefervertrags alle vertraglichen Voraussetzungen (Bestehen eines Kündigungsrechtes und Einhaltung der Kündigungsfrist) vorliegen. Erst wenn dies der Fall ist, kann der technische Prozess des Wechsels angestoßen werden. Eine Pflicht des Lieferanten, einen Wechsel vor Ablauf der Kündigungsfrist zu ermöglichen, besteht nicht (falls kein Grund für eine außerordentliche Beendigung vorliegt). In zeitlicher Hinsicht ist auch nicht vorgesehen, dass mit dem Vertragsschluss mit dem neuen Lieferanten auch der technische Vorgang des Stromlieferantenwechsels unmittelbar beginnt[3].

3. Regulatorischer Rahmen

3.1 Rechtsgrundlagen

Die gesetzliche Grundlage für die beschleunigten Prozesse findet sich in § 20a Abs. 2 Satz 4 EnWG, wonach ab dem 01.01.2026 der technische Vorgang des Stromlieferantenwechsels binnen 24 Stunden vollzogen und an jedem Werktag möglich sein muss. Diese Vorschrift entspricht den Vorgaben des Artikel 12 Abs. 1 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie. Die konkretisierte Ausgestaltung der hierfür erforderlichen Marktprozesse selbst erfolgt in der GPKE[4], welche die operativen Prozesse u.a. zwischen Lieferanten, Netzbetreibern und Messstellenbetreibern definiert und nun in vier Teile unterteilt ist. Ursprünglich sollte die neue Vorgabe ab dem 04.04.2025 gelten. Der Übergangszeitraum wurde für die operative Umsetzung jedoch bis zum 06.06.2025 verlängert.

Ergänzend ist die WiM[5] (Wechselprozesse im Messwesen) relevant, insbesondere bei Marktrollenwechseln oder der Einbindung moderner Messeinrichtungen. Der verkürzte Wechsel wird künftig für Letztverbraucher wie auch Betreiber von Erzeugungsanlagen unter Berücksichtigung vertraglich vereinbarter Kündigungsfristen ermöglicht werden.

Bestehende Lieferantenrahmenverträge, separate Netznutzungsverträge und Lieferverträge sind in Folge des 24h-Lieferantenwechsels nicht anzupassen.

3.2 Keine Übertragbarkeit auf Gas

Die Anforderungen an den 24h-Lieferantenwechsel nach § 20a EnWG und der Festlegung der Bundesnetzagentur (BNetzA) gelten ausschließlich für Strom. Im Gas bleibt es bei den bisherigen Fristen (die in der Regel jedoch Maximalfristen sind, also nach Vermögen unterschritten werden können). Insbesondere eine rückwirkende An- und Abmeldung ist aufgrund der GeLi Gas[6] weiterhin möglich.

4. Prozessuale Neuerungen in der Marktkommunikation

Die prozessualen Neuerungen beschleunigen und optimieren den gesamten Ablauf deutlich. Klare Fristsetzungen, verbesserte Kommunikationsprozesse und ein standardisierter Datenaustausch sollen die Prozesse effizienter und transparenter machen.

4.1 Synchronität und Wegfall der Rückwirkung

Mit dem 24h-Lieferantenwechsel geht die Einführung des Synchronmodells einher, so dass künftig im Strom die Bilanzierung von Energiemengen und die Netznutzungsabrechnung ohne Ausnahme synchron verlaufen. Die Abschaffung des asynchronen Bilanzierungsmodells stellt aus Sicht der BNetzA eine notwendige Folgeanpassung aufgrund der zeitlichen Beschleunigung und Straffung sowie vor allem auch wegen der zunehmenden Verwendung von intelligenten Messsystemen (iMS) dar.[7]

Die rückwirkende An- und Abmeldung von Entnahmestellen entfällt aufgrund der Synchronität nun für alle Bilanzierungsarten, d.h. nicht mehr nur iMs und RLM, sondern auch für SLP-Kunden.[8] Der Ausschluss der Rückwirkung dient insbesondere dem Schutz der Daten, die durch das iMS übermittelt werden. Wäre eine rückwirkende Änderung des Anschlussnutzers oder eines Marktteilnehmers möglich, so wären für den Zeitraum, zu dem die Zuordnung rückwirkend geändert wird, Daten bereits an unberechtigte Empfänger versendet worden bzw. wären Daten für einen nichtberechtigten Anschlussnutzer einsehbar gewesen. Der Entfall der Rückwirkung stärkt zudem die Rechtsklarheit und verhindert potenzielle Missverständnisse oder Manipulationen von Verbrauchsdaten. Er gilt ausdrücklich auch für Fälle der Grund- und Ersatzversorgung, sodass künftig eine rückwirkende Abmeldung von Kunden aus der Ersatzversorgung nicht mehr möglich ist. Lediglich in Ausnahmefällen bleibt eine rückwirkende Zuordnung in die Grundversorgung zulässig, um Zuordnungslücken zu vermeiden.[9]

4.2 Neue Aufteilung der Prozesse: Vorbereitende, ergänzende und anschließende Prozesse

Marktprozesse, die neben dem Wechselprozess selbst erforderlich sind, sind diesem vorgelagert oder nachgelagert. Die Menge an benötigten Daten soll deutlich minimiert werden, was potenzielle Fehlerquellen verringert und die Effizienz erhöht.

  • Vorbereitende Prozesse: Ein zentraler Aspekt der neuen Struktur ist die vorgelagerte Ermittlung der Marktlokations-ID. Diese wird nun frühzeitig im Prozess ermittelt, noch bevor der eigentliche Lieferbeginn-Prozess startet. So wird sichergestellt, dass eine eindeutige Identifikation der Marktteilnehmer und der Lokation vorliegt, was späteren Unklarheiten vorbeugt und zu einer schnelleren Umsetzung des Lieferantenwechsels führt. Auch die Kündigung des Stromliefervertrags an der Marktlokation gehört zu den vorbereitenden Prozessen.
  • Zuordnungsprozesse: Von diesen Prozessen ist der Lieferbeginn, das Lieferende, der Beginn der Grund- und Ersatzversorgung sowie die Zuordnung von Neuanlagen erfasst. Auch die Stammdatenänderung spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle,[10]0 wobei die gesonderte Verteilerrolle des Netzbetreibers künftig entfallt. Die Verteilung erfolgt jetzt durch den jeweiligen (Daten-)Verantwortlichen an die (Daten-)Berechtigten, was zu einer besseren Nachverfolgbarkeit und einer schnelleren Klärung von Schiefstanden und Clearingfallen führt.
    Künftig können Stammdaten sowohl mit Gültigkeit in die Zukunft als auch in die Vergangenheit geändert werden. Dies ist besonders wichtig, um flexibler auf Änderungen oder Korrekturen reagieren zu können. Solche Änderungen müssen jedoch genau dokumentiert werden, um Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten. Von den derzeit zu übermittelnden Stammdaten werden im Rahmen des Lieferbeginns und der Grund- und Ersatzversorgung künftig nur noch die zugeordneten Marktpartner an den Lokationen und das zur Umsetzung geplante (Mess-)Produktpaket übertragen. Die restlichen Stammdaten werden im Nachgang per zusätzlicher Stammdatenänderungsmeldung übermittelt. Gesonderte Stammdatenänderungsprozesse richten sich nach der GPKE Teil 4 und schließen sich den ergänzenden Prozessen an.
  • Ergänzende Prozesse: Im Rahmen der ergänzenden Prozesse werden die Daten zur Netznutzungsabrechnung und Bilanzkreisabrechnung ausgetauscht. Sie umfassen auch die Bestellung der Änderung von Abrechnungsdaten und die Errichtung von Konfigurationen. Davon umfasst ist auch die Übermittlung der bisher gemessenen Arbeits- und Leistungswerte sowie des Lieferscheins und der Preisblätter. Die Verschiebung dieser Daten in den nachgelagerten Bereich ermöglicht eine klarere Trennung der Aufgaben und sorgt für eine strukturierte, schrittweise Abwicklung der Datenübertragung.

Durch die neue Aufteilung der Prozesse wird eine Effizienzsteigerung und Fehlerreduktion erreicht, sofern denn die vorgegebenen Schritte eingehalten werden. Die Fokussierung auf notwendige und korrekt zugeordnete Daten, die zentrale Verantwortung für die Stammdatenverteilung und der Wegfall von rückwirkenden Änderungen ermöglichen einen fehlerresistenteren Ablauf des Lieferantenwechsel.

4.3 Prozessoptimierung: Gestraffte Fristigkeiten, neue Datenaustauschformate und Fehlerbehandlungsprozesse

Sofern der Kunde vertragsfrei ist, hat der neue Lieferant den Wechselprozess innerhalb von 24 Stunden werktags zu ermöglichen, indem er unverzüglich ab Kenntnisnahme den Prozess zum Lieferbeginn bei dem Netzbetreiber anstößt. Der Netzbetreiber ist ebenfalls verpflichtet, innerhalb dieses Zeitrahmens die technischen Änderungen vorzunehmen.

Ein zentrales Element der Prozessoptimierung, welches ergänzend zu den Prozessen aus der GPKE zur Beschleunigung beiträgt, ist die Anpassung und Vereinheitlichung der Datenaustauschformate zwischen den Marktteilnehmern (Weiterentwicklung der EDIFACT-Formate, Verwendung von API-Webdiensten).[11]

Auch wurden die Verfahren zur Fehlerbehandlung und Ablehnung von Lieferantenwechseln verbessert. Fehler müssen zwischen den beteiligten Marktpartnern unverzüglich kommuniziert und auf eine Klärung hingewirkt werden, sodass der Wechsel innerhalb des vorgesehenen Zeitrahmens durchgeführt werden kann. Dies erhöht die Transparenz und reduziert den administrativen Aufwand für alle Beteiligten. Sämtliche Use Cases in der GPKE Teil 2 und Teil 4 enthalten Vorgaben zur Handhabe in Fehlersituationen (vgl. „Nachbedingungen im Fehlerfall“ und „Fehlerfälle“).

5. Veränderungen der Marktrollen

Die Einführung des 24h-Lieferantenwechsels hat Konsequenzen für alle beteiligten Marktrollen und bringt sowohl technische als auch organisatorische Veränderungen mit sich, auf die es sich seitens der Beteiligten in den Marktprozessen einzustellen gilt.

5.1 Bereich Netzbetrieb

Der Netzbetreiber trägt die Verantwortung für die korrekte Abwicklung und die Bestätigung des Lieferantenwechsels in seinem Netzgebiet. Änderungen finden sich in folgenden Bereichen: Die Qualität der Stammdaten wird noch wichtiger. Bestätigungen und Ablehnungen von Anmeldungen hängen davon ab. Die Frist für die Rückmeldungen zur Netznutzungsbestätigung wurde gestrafft: die Reaktion des Netzbetreibers hat nun in den meisten Use Cases „unverzüglich“ zu erfolgen. Mehrere Tage stehen nun nicht mehr zur Verfügung. Dies macht eine Anpassung der IT-Systeme zur Fehlerprävention erforderlich, insb. EDI-Systeme, SAP IS-U u.v.m.

Die Anweisungen durch die BNetzA für Ablehnungsgrunde wurden geschärft. Eine Schulung und klare Arbeitsanweisungen für diejenigen Mitarbeiter, die diese Prüfungen vorzunehmen haben, ist unerlässlich. Auch die Personalkapazitäten im Tagesgeschäft sind diesbezüglich zu überprüfen und ggf. anzupassen.

5.2 Bereich Messstellenbetrieb

Auch für die unterstützende Rolle des Messstellenbetreibers ergeben sich Änderungen. Der Messstellenbetreiber ist dafür verantwortlich, die relevanten Messdaten zeitgerecht bereitzustellen und die Kommunikation mit Netzbetreibern und Lieferanten zu unterstützen. Stammdaten und historische Verbrauchsdaten sind nun innerhalb kürzester Zeit zu übermitteln. Stabile IT-Systeme und optimierte Datenpflegeroutinen sind erforderlich. Besondere Aufmerksamkeit ist bei konventionellen Zahlern, die anders als moderne Messeinrichtungen oft manuelle Eingriffe erfordern, geboten. Transparente Kommunikationsprozesse sind entscheidend für eine funktionierende Koordination mit den verschiedenen Marktrollen. Insbesondere bei einem Lieferantenwechsel, der mit gleichzeitiger MSB-Änderung etwa durch Kundenwunsch oder Vertragsende verbunden ist, muss auf Ablehnungen oder Stammdaten korrekt reagiert werden.

5.3 Bereich Stromlieferung

Vor allem für Stromlieferanten sind die Anpassungen jedoch merklich und erfordern kurzfristige Reaktionen – in Hinblick auf die Prozesse und Vertrage.

Die internen Systeme sollten den Wechselprozess automatisieren, aktiv überwachen und auf drohende Fristüberschreitungen hinweisen, etwa mittels Reporting-Tools und Dashboards zur Prozessverfolgung. Die Überwachung der Stammdatenqualität und die Erfassung der korrekten Kundendaten (Erfassung von Zählerpunktbezeichnung, Adressen, Vertragsinformationen ggf. in Abgleich mit den öffentlich zugänglichen Netzbetreiberdaten) spielt im Rahmen der Kundenbetreuung bei Stromlieferanten eine bedeutende Rolle. Eine präventive Kategorisierung denkbarer Klär- und Störfalle ermöglicht es, Konflikte auszuräumen und Einzelfallprüfungen auf ein Mindestmaß zu reduzieren.

Trotz der erwartbaren Automatisierung und Anpassung interner Prozesse werden einige bilaterale Klärungen von Einzelfällen nicht auszuschließen sein. Vorbereitungen für die Klärung derartiger Fälle können bereits jetzt getroffen werden.

6. „Vertrag ist Trumpf“: Wechselwirkung zwischen MaKo und Vertrag

Auch wenn die Umsetzung des Lieferantenwechsels innerhalb von 24 Stunden künftig Prozesse strafft und schnellere bzw. automatisierte Reaktionen erfordert, ändert dies nichts an den zivilrechtlichen Grundlagen der Energielieferung. Sowohl die GPKE als auch § 20a EnWG regeln ausschließlich die zeitliche und kommunikative Abwicklung des Wechsels zwischen den Marktpartnern. Die privatrechtlichen Lieferbeziehungen bleiben hiervon unberührt. Selbst die über den MaKo-Prozess ausgesprochene Kündigung in Vollmacht durch einen neuen Lieferanten ist letztlich nur die Übermittlung einer außerhalb der MaKo abgegebenen Erklärung. Die MaKo setzt um, was vertraglich vereinbart wird.

Stromversorger müssen deshalb, um in den verkürzten Prozessen richtig reagieren zu können, die konkrete, an der betroffenen Marktlokation bestehende Vertragssituation kennen. Im Massengeschäft muss dies automatisiert möglich sein, z.B. die Prüfung, ob eine Kündigungsfrist einzuhalten ist oder im Zuge einer Preisanpassung ein Wechsel auf ein bestimmtes Datum ohne Vorfrist ermöglicht werden muss (Sonderkündigungsrecht wegen Preisanpassung).

Technisch umsetzbarer und vertraglich zulässiger Lieferbeginn müssen daher nicht identisch sein. Hier führt aber der Vertrag als Vereinbarung mit dem versorgten Kunden. Nur mit Systemen, die automatisiert zwischen Kündigungsvarianten unterscheiden und Bestätigung oder Ablehnung nach hinterlegten Zeitrastern abgeben können, bleibt der Prozess massengeschäftstauglich. Grundpfeiler hierfür ist aber die Datenqualität bei Kunden- und Vertragsaktivierung.

7. Systemwechsel: Wegfall der rückwirkenden Zuordnung

Eine einschneidende Änderung der GPKE-Novelle ist der Ausschluss rückwirkender Lieferanten-Zuordnungen. Auch bisher war der Anwendungsfall auf Sondersituationen mit konventionellen und modernen Messeinrichtungen beschränkt, konnte aber bei Ein- und Auszügen, die der betroffene Kunde nicht mit entsprechender Vorankündigung an seinen Versorger gemeldet hat, Konflikte vermeiden.

Künftig kann ein Wechsel für alle Entnahmestellen, unabhängig von Bilanzierung und Messeinrichtung frühestens am Tag nach Eingangsmeldung und damit nur noch zu einem Datum in die Zukunft vollzogen werden.

In der Praxis häufig auftretende Probleme, die sich bei Umzügen ergeben, wenn ohne Kenntnis des Versorgers der strombeziehende Letztverbraucher an einer Entnahmestelle nicht mehr der bisherige Vertragspartner ist, lassen sich damit nicht mehr ohne eigene wirtschaftliche Risiken des Versorgers auf Kulanzbasis lösen.

Auch hier gilt aber, dass weder ein Marktprozess noch faktisches Verhalten einen einmal geschlossenen Vertrag beendet oder aufhebt. Zieht der Vertragspartner aus, ohne den Umzug zu melden, kann – je nach konkretem Vertragsinhalt – der Vertrag an der Entnahmestelle fortbestehen. Etwaiger Verbrauch des Nachmieters geht dann zu Lasten des bisherigen Vertragspartners, der seiner Meldepflicht nicht nachkommt. Viele Verbraucher sind hierfür nicht sensibilisiert. Häufig herrscht vor allem bei grundversorgten Kunden die irrtümliche Ansicht, der Auszug beende das Versorgungsverhältnis, was vielfach durch die kulante Praxis der Versorger gestützt wird.

Durch Versäumnisse von Lieferanten oder technische Probleme können „echte“ Zuordnungslücken entstehen. Ist eine MaLo-ID einem Lieferanten zugeordnet und der Letztverbraucher an dieser MaLo-ID verzieht ohne Mitteilung, entsteht aufgrund der vertraglichen Bindung hierdurch allein keine solche Lücke. Nur echte Zuordnungslücken, die auf Versäumnissen von Marktteilnehmern beruhen, darf der Netzbetreiber auch künftig durch eine ggf. rückwirkende Zuordnung schließen, aber nur zum örtlichen Grund- und Ersatzversorger.

8. Fazit und Ausblick

Der verkürzte Wechselprozess schafft keine neuen Probleme, er wirkt aber wie ein Brennglas für bestehende Schwächen des Systems. Vertragsdisziplin, Identität des Vertragspartners, Einhalten von Meldepflichten und Auslesbarkeit von Vertragsinhalten – waren Schwächen in diesen Bereichen in der Vergangenheit im Zuge der laufenden Marktprozesse en passant klärbar, werden sie nun Dealbreaker. Insbesondere der Wegfall des in der Praxis vielgenutzten „Instruments“ der rückwirkenden Anmeldung führt zu Unsicherheiten auf Versorgerseite.

Probleme, die sich für den Grundversorger aus fehlender Kenntnis der Identität des Vertragspartners o.a. ergeben, werden weder ver- noch entschärft. Es wird weiterhin zur nachträglichen Aufarbeitung außerhalb der Marktprozesse kommen.

Bis 01.01.2026 ist noch Zeit, Automatisierungs- und Entscheidungsprozesse zu implementieren, mit denen die Regelfälle des verkürzten Wechselregimes umsetzbar werden und Störfalle, die sich aus dem Zeitdruck kurzfristiger Entscheidungen ergeben können, vermieden werden. Eine zunächst als Mehraufwand erscheinende frühzeitige Adaptierung der Prozesse lohnt sich daher zur Vermeidung interner wie externer Unklarheiten.

  1. [1]
    Mediatorin Janka Schwaibold ist Partnerin bei Schalast in Hamburg. Sie berät Unternehmen in den Bereichen Vertrieb, Beschaffung, Netzzugang sowie in Wärmefragen und im Kontext EEG und KWKG. Sie gestaltet und verhandelt Verträge im Weiterverteiler-, Netz- und Endkundenbereich. RAin Neele Appel berät bei Schalast in Hamburg in der Praxisgruppe Energy, Infrastructure & Telecommunication. Ihr Tätigkeitsschwerpunkt liegt in der Beratung von Energieversorgungsunternehmen im Kontext der Endkundenversorgung, Vertragsgestaltung und Prozessumsetzung sowie im Wärmebereich zur Wirksamkeit von Preisanpassungsklauseln. Auch begleitet sie Rechenzentrumsbetreiber und industrielle Abnehmer bei Fragen der Infrastruktureinordnung.
  2. [2]
    Artikel 12 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.06.2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU (Neufassung) – Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie.
  3. [3]
    Ausführungen in 2.5 der Festlegung von Regelungen für einen beschleunigten werktäglichen Lieferantenwechsel in 24 Stunden (LFW24) der BNetzA, BK6-22-024, (Beschluss vom 21.03.2024).
  4. [4]
    Geschäftsprozesse zur Kundenbelieferung mit Elektrizität (GPKE) in der Fassung gemäß Festlegung der BNetzA, BK6-24-174, (Beschluss vom 24.10.2024).
  5. [5]
    Wechselprozesse im Messwesen Strom (WiM Strom) gemäß Festlegung der BNetzA, BK6-24-174, (Beschluss vom 24.10.2024).
  6. [6]
    Geschäftsprozesse Lieferantenwechsel Gas (GeLi Gas) gemäß Festlegung der BNetzA, BK7-19-001, (Beschluss vom 22.11.2023).
  7. [7]
    Ausführungen in 2.6.6 der Festlegung von Regelungen für einen beschleunigten werktäglichen Lieferantenwechsel in 24 Stunden (LFW24) der BNetzA, BK6-22-024, (Beschluss vom 21.03.2024).
  8. [8]
    Ausführungen in 2.6.6 der Festlegung von Regelungen für einen beschleunigten werktäglichen Lieferantenwechsel in 24 Stunden (LFW24) der BNetzA, BK6-22-024, (Beschluss vom 21.03.2024).
  9. [9]
    Ausführungen in 2.12 der Festlegung von Regelungen für einen beschleunigten werktäglichen Lieferantenwechsel in 24 Stunden (LFW24) der BNetzA, BK6-22-024, (Beschluss vom 21.03.2024).
  10. [10]
    Ausführungen in 2.5 der Festlegung von Regelungen für einen beschleunigten werktäglichen Lieferantenwechsel in 24 Stunden (LFW24) der BNetzA, BK6-22-024, (Beschluss vom 21.03.2024).
  11. [11]
    Ausführungen in 2.3 der Festlegung von Regelungen für einen beschleunigten werktäglichen Lieferantenwechsel in 24 Stunden (LFW24) der BNetzA, BK6-22-024, (Beschluss vom 21.03.2024).

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