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Titel: Die Kundenanlage im Lichte der Rechtsprechung– Wo beginnt das Netz?
Datum: 01.11.2025
Artikeltyp: Aufsätze
Dokumentennummer: 25091570 ebenso Versorgungswirtschaft, Heft 11/2025, Seite 305

Die Kundenanlage im Lichte der Rechtsprechung– Wo beginnt das Netz?

RAin Janka Schwaibold und RAin Neele Appel, Hamburg[1]

Die aktuelle Rechtsprechung von EuGH und BGH verschärft die Abgrenzung zwischen Kundenanlage und Netz erheblich. Zentrale Folge: Viele bislang als Kundenanlage eingestufte Energieinfrastrukturen sind künftig als regulierte Verteilernetze zu behandeln. Dies führt zu rechtlicher Unsicherheit und erhöht regulatorische Anforderungen für eine Vielzahl von Akteuren und kann Mieterstrom-, Contracting- und Quartiersmodelle gefährden. Der Beitrag analysiert die praktischen Konsequenzen für Betreiber, Energieversorger, Projektentwickler und Letztverbraucher und zeigt Handlungsoptionen sowie Risikominimierungsstrategien auf. Ohne gesetzgeberische Klarstellung drohen erhebliche Auswirkungen auf Planung, Betrieb und Wirtschaftlichkeit der dezentralen Energieversorgung.

1. Einleitung

Die Abgrenzung zwischen reguliertem Netz und weitgehend unregulierter Anlage des Kunden gehört zu den zentralen Streitfragen des Energierechts. Immer wieder drängt sich die Frage auf: Wo beginnt eigentlich das Netz? Diese Abgrenzung ist keineswegs nur von theoretischer Bedeutung. Vielmehr betrifft sie eine Vielzahl von Akteuren – von Energieversorgungsunternehmen (EVU) über Projektentwickler und Investoren bis hin zu Immobiliengesellschaften und Letztverbrauchern. Die rechtliche Einordnung hat erhebliche Konsequenzen für die energierechtlichen Pflichten der Akteure und die sie betreffenden Regulierungsvorgaben.

Der über Jahre entwickelten Praxis des deutschen Gesetzgebers sowie der Rechtsprechung, die Einordnung als Kundenanlage durch konkrete Kriterien zu ermöglichen, haben der Europäische Gerichtshof (EuGH) und der Bundesgerichtshof (BGH) nun einen Riegel vorgeschoben. Diese Entscheidungen erfordern eine geänderte Blickrichtung für die Zuordnung von Energieanlagen mit der Folge erheblicher Rechtsunsicherheit.

Vor diesem Hintergrund geht es im vorliegenden Beitrag nicht darum, die Gerichtsentscheidungen im Detail nachzuzeichnen[2]. Vielmehr sollen die praktischen Folgen der unklaren Rechtslage beleuchtet werden.

2. Rechtlicher Rahmen in Kürze

Der BGH hat mit Beschluss vom 13.05.2025[3] den Anwendungsbereich der Kundenanlagen gem. § 3 Nr. 24a EnWG im Lichte des EuGH-Urteils vom 28.11.2024[4] eingeschränkt. Zukünftig gilt: Anlagen, die Elektrizität an Kunden auf einer Spannungsebene weiterleiten, sind grundsätzlich als regulierte Verteilernetze einzustufen. Privilegierungen, die aus § 3 Nr. 24a EnWG folgen, greifen dann nicht mehr.

Ausgangspunkt war der Streit eines deutschen Unternehmens um den Netzanschluss zweier Blockheizkraftwerke zur Versorgung mehrerer Wohnblöcke mit Strom und Wärme. Der vorgelagerte Netzbetreiber, die Regulierungsbehörden und die Vorinstanzen lehnten die Einordnung als Kundenanlage bereits nach nationalem Recht ab. Der EuGH entschied im Vorabentscheidungsverfahren auf die Vorlagefrage des BGH, dass die nationale Vorschrift des § 3 Nr. 24a EnWG unionsrechtswidrig sei. Folgende Kernaussagen trafen die Gerichte:

  • EuGH: Die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (RL (EU) 2019/944[5]) stehe der Regelung nach § 3 Nr. 24a EnWG entgegen. Zwar bestehe für die Mitgliedstaaten ein gewisser Spielraum bei der Umsetzung der Richtlinie – gerade, weil der Begriff des Verteilernetzes dort nicht explizit geregelt ist und sich anhand der Begriffe „Verteilung“, „Versorgung“ und „Kunde“ ableiten lassen soll -; der Begriff „Verteilernetz“ solle aber eine einheitliche Auslegung in der gesamten Union erhalten[6]. Ein Netz im Sinne der Richtlinie liege immer dann vor, wenn Elektrizität auf Hoch-, Mittel- oder Niederspannungsebene an Kunden weitergeleitet werde[7]. Die Einordnung einer Anlage als Verteilernetz dürfe allein anhand dieser zwei Kriterien erfolgen[8]. Die Schaffung von Ausnahmen durch weitere Kriterien ist damit unzulässig[9].
  • BGH: Dem EuGH folgend, wies der BGH die Beschwerde zurück. § 3 Nr. 24a EnWG sei richtlinienkonform so auszulegen, dass eine Energieanlage nur dann eine Kundenanlage sein könne, wenn sie kein Verteilernetz im Sinne der Richtlinie sei[10]. Für die Kundenanlage verbleibe ein Anwendungsbereich. Erfasst seien sämtliche Leitungssysteme, die der Weiterleitung von Elektrizität dienen, die nicht zum Verkauf bestimmt seien, etwa Anlagen zur (gemeinschaftlichen) Gebäudeversorgung[11]. Offen bleibt die Frage, ob die beispielhafte Aufzählung abschließend sein sollte. Jedenfalls ist eine spürbare Einschränkung gegenüber der bisherigen Praxis festzustellen.

Die Entscheidungen wirken inter partes und beziehen sich allein auf den § 3 Nr. 24a EnWG. Die Vorgaben zur Richtlinienkonformität haben aber für alle Kundenanlagen eine Signalwirkung, d.h. auch für solche zur betrieblichen Eigenversorgung nach § 3 Nr. 24b EnWG.

3. Praktische Konsequenzen: Auswirkungen auf unterschiedliche Akteursgruppen

Dieser Richtungswechsel führt zu praktischen Schwierigkeiten für Planung, Betrieb und Finanzierung dezentraler Energieinfrastrukturen. Äußern kann sich das u.a. in Planungs- und Investitionsunsicherheiten, Projektverzögerungen, Transaktionsrisiken bei Immobiliengeschäften sowie Risiken bei der Umqualifizierung von Anlagen vor allem mit Blick auf die Pflichten aus der Regulierung.

3.1 Kundenanlagenbetreiber

Während bislang das Vorliegen der Kriterien gem. § 3 Nr. 24a EnWG regelmäßig dazu führte, dass gerade kein Netz i.S.d. nationalen oder europäischen Rechts angenommen wurde, erfolgt die Prüfung nunmehr in umgekehrter Richtung: Sobald die Merkmale eines Verteilernetzes i.S.d. unionsrechtlichen Vorgaben erfüllt sind, scheidet eine Kundenanlage aus, selbst wenn deren Kriterien ebenfalls vorliegen.

Welche Alternativen bestehen für bisher als Kundenanlagen behandelte Infrastrukturen?

Neben der Einordnung als Verteilernetz i.S.d. Richtlinie, kommt alternativ eine Einstufung als – ebenfalls im Rahmen der Richtlinie als Ausnahme anerkanntes – geschlossenes Verteilernetz nach § 110 EnWG in Betracht, sofern das Netz in erster Linie den Zwecken des Eigentümers dient und eine gemeinsame Nutzung stattfindet, z.B. bei Industrieanlagen, Bahnhöfen, Krankenhäusern. Allerdings schließt die dort verlangte geringe Zahl von Haushaltskunden einige Infrastrukturen aus. Gleichzeitig eröffnet § 110 Abs. 1 EnWG gewisse Erleichterungen gegenüber öffentlichen Verteilernetzen. Diese reichen jedoch nicht an die weitgehenden Befreiungen für Kundenanlagen heran und ziehen erhebliche regulatorische Pflichten nach sich – etwa Genehmigungspflichten (§ 4 Abs. 1 EnWG), Vorgaben zu Netzzugang und Entgelten sowie umfangreiche Berichtspflichten. Haftungsrechtliche Risiken bei Fehleinordnung oder potenziellen Mehrkosten, insbesondere durch Nachrüstungspflichten im Bereich der Mess- und Zähleinrichtungen sind nicht auszuschließen. Auch die Komplexität von Abrechnungen gegenüber Letztverbrauchern und die Projektfinanzierung kann aufgrund der unsicheren Rechtslage erschwert sein. Ein verbleibender Spielraum für die Qualifikation als Kundenanlage gem. § 3 Nr. 24a EnWG besteht nur in den benannten engen Grenzen. Andere unionsrechtliche Ausnahmeinstrumente wie Bürgerenergiegemeinschaften, kleine Verbundnetze oder kleine, isolierte Netze sind in Deutschland bislang nicht umgesetzt; teilweise wäre ihre Anwendung ohnehin an eine Genehmigung durch die Kommission gebunden.

3.2 Energieversorgungsunternehmen

Für Netzbetreiber ändert sich u.a. die Art der Kommunikation: Übernimmt der bislang als Kundenanlagenbetreiber tätige Akteur die Rolle des Netzbetreibers eines geschlossenen Verteilernetzes (gVNB), wird er als nachgelagerter Netzbetreiber in die erforderliche Netzkooperation und -kommunikation eingebunden. Damit einher gehen neue technische sowie administrative Schnittstellen im Rahmen der Marktkommunikation (Ma-Ko). Auch die Verbrauchsbilanzierung der in der Infrastruktur belegenen Entnahmestellen wird künftig dem gVNB zugeordnet.

Energievertriebe, die Kundenanlagen beliefern, müssen den Übergabeort prüfen, ggf. ist eine Übergabe im Bilanzkreis oder eine Aufteilung auf nun bilanzierungsrelevante Unterzähler erforderlich. Diese Umstellung kann auch Chancen bergen. Für die Lieferung in die Anlage wird ein Lieferantenrahmenvertrag mit dem gVNB erforderlich. Dies kann zu regulatorischen Herausforderungen führen und erfordert eine intensivere Abstimmung zwischen EVU und gVNB. Entsprechend steigt auch der Organisations- und Koordinationsaufwand. Besonders im Bereich der Mieterstrommodelle zeigt sich, dass die praktische Umsetzung mit zusätzlichen Hürden verbunden ist.

3.3 Letztverbraucher

Auch für Letztverbraucher ergeben sich spürbare Konsequenzen: Wurde er bislang durch den Kundenanlagenbetreiber versorgt, wird dieser nun zum gVNB und Lieferant. Der Letztverbraucher wird Netzanschlusskunde des gVNB. Streitfragen über die Anschlussqualität, Störungen oder die Angemessenheit von Netzentgelten sind nun anhand regulatorischer Vorgaben mit dem gVNB zu klären. Das auch vorher schon bestehende Recht auf diskriminierungsfreie Lieferantenwahl[12] kann der Letztverbraucher nun unmittelbar ausüben, da Drittlieferanten über die MaKo direkten Zugriff auf seine Entnahmestelle haben. Unklarheiten können bei der Bestimmung der maßgeblichen Vertragsverhältnisse entstehen – etwa bei der Kündigung des bisherigen, kundenanlageninternen Vertrages.

Vor allem die Kosten können sich ändern: Die Umstellung erfordert eine neue Netzentgeltstruktur, ggf. ändert sich die Bestimmung der Konzessionsabgaben, Energie innerhalb der Anlage ist nicht mehr umlageprivilegiert. Insbesondere bei Mieterstromprojekten führt dies zu einer spürbaren Reduzierung der Wirtschaftlichkeit – auch für die Letztverbraucher.

3.4 Planer und Projektentwickler

Eine frühzeitige Klärung der rechtlichen Einordnung von bevorstehenden Projekten ist für Planer und Projektentwickler unverzichtbar, da ansonsten Verzögerungen durch regulatorische Abstimmungen drohen. Unsicherheiten bei der rechtlichen Qualifizierung bergen zudem das Risiko von Fehlkalkulationen in Wirtschaftlichkeitsberechnungen, die insbesondere für Investitionsentscheidungen und Finanzierungsmodelle gravierende Folgen haben können.

Darüber hinaus erfordert die neue Rechtslage eine Anpassung gängiger Standardkonzepte in der Quartiers- und Gebäudeenergieversorgung. Projektentwickler sollten daher bereits heute die regulatorischen Vorgaben stärker in die Planung integrieren, um Umsetzungsrisiken und spätere Kostensteigerungen zu vermeiden.

4. Herausforderungen für etablierte Energieversorgungskonzepte

4.1 Vorüberlegung – Gebäudenetze als Folge Europäischer Vorgaben?

Infolge der bislang sehr weitgehenden Definition der nicht regulierten Kundenanlage in Abgrenzung zum regulierten Netz bestand im deutschen Recht – auch mit Blick auf die gerade aus der Existenz eines natürlichen Monopols im Energieversorgungsbereich folgende Regulierungsbedürftigkeit des Netzes[13] – bislang kein Bedarf, die Elektroinstallation in Gebäuden regulatorisch einzuordnen bzw. auszunehmen. Dieses Versäumnis birgt nun Folgerisiken für verschiedene, in der Energiewirtschaft etablierte und für die Energiewende zwingend erforderliche Versorgungskonzepte, wenn die Einordnung maßgeblich anhand der Kriterien der Richtlinie erfolgt.

Zur Erinnerung: Eine Infrastruktur ist als Netz einzuordnen, wenn sie der Verteilung von Elektrizität mit Hoch-, Mittel- oder Niederspannung zur Belieferung von Kunden dient, mit Ausnahme der Versorgung, wobei Kunde entweder ein Großhändler ist oder ein Endkunde, der Elektrizität kauft.[14]

Der Ausschluss der Versorgung folgt aus der strikten Trennung in der Richtlinie zwischen der netzseitigen „Verteilung“ auf der einen Seite und der vertrieblichen „Versorgung“ auf der anderen Seite[15]. Die Verteilung stellt die auf den gewerblichen Betrieb ausgerichtete Weiterleitung von Elektrizität durch eine Infrastruktur an den Kunden „mit Ausnahme der Versorgung“ dar – die Leistung liegt daher im „Transport an den Kunden“. Die Versorgung umfasst den Verkauf von Elektrizität an Kunden. Mit Blick auf die Weiterleitung an Dritte in Gebäuden kann dieses – grundsätzlich sinnvolle – System der Trennung Schwierigkeiten bergen: Die Versorgung kann auch innerhalb eines Gebäudes stattfinden. Anders ist dies bei der Verteilung, sofern der Betreiber die Infrastruktur dort nicht als solche vermarktet (die Leistung „Transport an Kunden“ wird dann nicht erfüllt). Die Verteilung „endet“ so vor dem Gebäude.

Bislang nicht vom Regelungszweck der Richtlinie erfasst war die Gebäudeinstallation, da die Hausinstallation in der Regel nur noch die am Hausanschluss bereitgestellte Elektrizität im Gebäude verteilt, ohne dass sich hieran ein weiterer Verkaufsprozess anschließt. Mit zunehmender Diversität des Energiemarktes haben sich aber mittlerweile sehr wohl Geschäftsmodelle entwickelt, für die sowohl Verteilung als auch Versorgung von Letztverbrauchern über eine Gebäudeinfrastruktur maßgeblich sind. Macht nun die nachträgliche Einführung solcher Modelle eine bislang regulatorisch unbedeutende Verteilstruktur zum regulierungsbedürftigen Netz?

Wo kann eine sinnvolle Grenze gezogen werden, wenn einerseits verhindert werden muss, dass Gebäude mit wenigen Parteien nur aufgrund von Mieterstrommodellen oder Contracting Netzanforderungen erfüllen müssen und andererseits Einheiten wie Einkaufszentren oder Rechenzentren mit Co-Lokationsmodellen eine Infrastruktur erfordern, die den Ortsnetzen kleiner Kommunen durchaus das Wasser reichen können?

In dieser Gemengelage ist der Gesetzgeber gefragt, um hier eine zweckmäßige Definition im Europäischen Konsens zu schaffen, die zumindest kleine bis mittlere Gebäudestrukturen absichert.

4.2 Mieterstrommodelle

Mieterstrommodelle sollen bereits seit 2017 Mieter von lokal produzierter Energie profitieren lassen. Die (fehlende) Wirtschaftlichkeit war lange eine Hürde; noch 2021 wurde der Mieterstromzuschlag erhöht und die Möglichkeit geschaffen, Nachbargebäude mitzuversorgen. Gerade diese Erweiterung kann sich nun negativ auswirken.

Die Verteilinfrastruktur, über die vor Ort erzeugter PV-Strom den einzelnen Kunden zur Verfügung gestellt wird, setzt auf vorhandener Infrastruktur des Vermieters auf. Betrachtet man allein die Hausinstallation, könnte es an einer Verteilung im energierechtlichen Sinne fehlen, denn Zweck der Infrastruktur im Gebäude ist in der Regel nicht die gewerbliche Vorhaltung der Infrastruktur durch den Eigentümer. Je nach Umfang des Mieterstromkonzeptes dient diese Infrastruktur dann aber vorrangig der gewerblichen Versorgung Dritter mit Elektrizität. Absurderweise kann das Mieterstrommodell selbst also den Ausschlag für die Einordnung als Netzstruktur nach der Richtlinienlogik geben, die Verbindung mehrerer Gebäude (auch ohne Nutzung des örtlichen Verteilnetzes) gerade für den Netzcharakter sprechen.

Folge wäre dann nicht nur, dass auch vor Ort erzeugter Strom mit Netzentgelten und Umlagen belegt wird, sondern auch der Entfall der Förderung nach §§ 19 Abs. 1 Nr. 3, 21 Abs. 3 EEG, da diese daran geknüpft ist, dass der privilegierte Strom nicht durch ein Netz durchgeleitet wird. Nur bei reiner Eigenversorgung wäre die Ausnahme von der Einordnung als Netz weiterhin gesichert; das geförderte Mieterstrommodell stellt aber gerade auf ein Lieferverhältnis ab, vgl. § 21 Abs. 3 EEG.

Bis zu einer Gesetzesnovelle kann dem Risiko derzeit allenfalls eine Dimensionierung innerhalb von Gebäuden begegnen – ggf. in Anlehnung an die StromStV-Novelle, wonach die bisherige Stromsteuerprivilegierung nun nicht mehr an die Kundenanlage geknüpft ist, sondern vom Netz der allgemeinen Versorgung abgegrenzt wird.

4.3 Contracting-Modelle

Auch wenn Contracting-Modelle sehr unterschiedlich ausgestaltet sein können, und zumindest die Erzeugung und Verteilung von Wärme von der vorstehenden Problematik nicht betroffen ist, kann die Verteilung von vor Ort erzeugtem Strom durch den Contractor – ebenso wie das Mieterstrommodell – die Versorgung in die Infrastruktur hineinverlagern, die anderenfalls von der Einordnung als Netz in der Regel ausgenommen sein sollte. Ist künftig nur noch die Eigenversorgung in einer Infrastruktur denkbar, kann der Anreiz für den Stromabsatz im Contracting deutlich abnehmen.

4.4 Quartierskonzepte

Erstrecken sich Contracting– und/oder Mieterstrommodelle über mehrere Gebäude oder sogar ein ganzes Gebiet, wird zumindest die Strominfrastruktur auf dem betroffenen Areal künftig nur schwerlich von der Regulierung ausgenommen werden können. Auch ohne die Integration solcher optimierten Vor- Ort-Erzeugung dürfte dies auch für reine Verteilerinfrastruktur gelten, die auf einem Areal betrieben wird und der Versorgung unterschiedlicher Kunden dient, die nicht durch ein Konzernprivileg umfasst werden.

5. Risikominimierungsstrategien

Die unklare Rechtslage erfordert von Marktakteuren proaktive Maßnahmen, um Risiken zu minimieren und die wirtschaftliche Tragfähigkeit von Projekten sicherzustellen. Folgende Strategien können dabei helfen:

  • Frühzeitige rechtliche Prüfung: Eine umfassende rechtliche Bewertung der geplanten Infrastruktur zur Klärung der Einordnung als Kundenanlage, geschlossenes Verteilernetz oder Verteilernetz sollte bereits während der Planungsphase erfolgen. Dies reduziert das Risiko von späteren Umqualifizierungen und unerwarteten wirtschaftlichen Folgen.
  • Vertragsgestaltung mit Fallback-Regelungen: Klauseln, die den Umgang mit einer möglichen Umqualifizierung regeln, z.B. durch Anpassung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen oder die Übertragung von Pflichten, können für Absicherung sorgen.
  • Organisatorische und rechtliche Trennung von Netz- und Vertriebsfunktionen: Sie kann helfen, regulatorische Anforderungen zu erfüllen und Haftungsrisiken zu minimieren.
  • Einsatz standardisierter technischer Lösungen: Die Einhaltung regulatorischer Vorgaben kann erleichtert und administrativer Aufwand reduziert werden, insb. im Bereich des Mess- und Zählwesens.
  • Dokumentation der rechtlichen und technischen Infrastruktur- Einordnung: Dies kann gegenüber Behörden und Gerichten als Nachweis dienen und die Position des Betreibers stärken.
  • Kooperation mit Behörden und Experten: Frühzeitige Dialoge mit Regulierungsbehörden und die Einbindung von juristischen und technischen Experten tragen zur Klärung von Unsicherheiten und Sicherstellung der Einhaltung regulatorischer Anforderungen bei.

6. Ausblick: Absehbare und erhoffte Entwicklungen

Die Diskussion um die Einordnung von Kundenanlagen und Verteilernetzen wird in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter an Bedeutung gewinnen.

  • Weitere Konkretisierung durch Rechtsprechung und Behörden: Es ist zu erwarten, dass der EuGH, der BGH und die Bundesnetzagentur (BNetzA) die Abgrenzungskriterien weiter präzisieren werden. Dies könnte zu einer Reduzierung der bestehenden Grauzonen führen.
  • Potenzial für gesetzgeberische Klarstellungen: Der Gesetzgeber sollte durch eine präzisere Definition von Kundenanlagen und Verteilernetzen im EnWG für mehr Rechtssicherheit sorgen. Insbesondere die fehlende Definition von „Gebäude“ sollte ergänzt werden.
  • Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 26.09.2025 gefordert, die entstandene Rechtsunsicherheit „dringend auszuräumen“. Er warnt davor, dass sie ein schwerwiegendes Hemmnis für die Transformation der Stromversorgung schaffe und drohe, die Dynamik der Energiewende nachhaltig zu bremsen[16]. Als Lösungsvorschlag bietet er die Aufnahme einer Legaldefinition des Begriffes „Netz“ als über mehrere Grundstücke reichende Energieverteilungsanlage oder die Schaffung eines neuen Rechtsbegriffs für Grundstücksanlagen mit den Rechtsfolgen der bisherigen Kundenanlagen[17].
  • Technologische Trends könnten dem Thema eine neue Dimension verschaffen: Entwicklungen wie Smart Metering, Flexibilitätsmärkte und die Digitalisierung der Energieversorgung könnten neue Anforderungen an die Einordnung von Netzinfrastrukturen stellen und ggf. eine breitere Diversifizierung von Netzarten erfordern, die dann auch unterschiedlicher Regulierungstiefe bedürfen.
  • Einfluss der Energiewende: Die zunehmende Dezentralisierung der Energieversorgung und der Ausbau erneuerbarer Energien könnten die Bedeutung von Kundenanlagen und Quartiersnetzen weiter erhöhen. Dies könnte die Schaffung effizienter Betreiber- und Dienstleisterkonzepte befördern, die in einem reduzierten regulatorischen Rahmen florieren können.
  • Europäische Harmonisierung: Die Harmonisierung der Regelungen innerhalb der EU könnte dazu führen, dass nationale Besonderheiten angepasst werden müssen. Dies könnte sowohl Chancen als auch Herausforderungen für deutsche Marktakteure mit sich bringen.

7. Fazit

Die Rechtsprechung von EuGH und BGH verschiebt die bisherige Abgrenzung zwischen Kundenanlage und Netz grundlegend: Für Marktakteure bedeutet dies nicht nur eine erhöhte regulatorische Komplexität, sondern auch erhebliche rechtliche und wirtschaftliche Unsicherheit, insbesondere bei Mieterstrom- und Quartiersmodellen. Solange der Gesetzgeber keine Klarstellungen vornimmt, sind Unternehmen gut beraten, Projekte frühzeitig rechtlich zu prüfen, flexible Vertragsmechanismen einzubauen und regulatorische Risiken strategisch zu adressieren. Nur so lässt sich vermeiden, dass die Energiewendevorhaben an einer formalistischen Netzeinordnung scheitern. Entscheidend ist dafür auch eine enge Zusammenarbeit von Juristen, Technikern und Projektentwicklern. Nur durch diesen interdisziplinären Ansatz lassen sich rechtliche Risiken minimieren, technische Machbarkeit gewährleisten und wirtschaftliche Tragfähigkeit sichern.

  1. [1]
    Janka Schwaibold ist Rechtsanwältin und Mediatorin und arbeitet als Partnerin bei Schalast LAW/TAX in Hamburg. Neele Appel ist ebenfalls als Rechtsanwältin bei Schalast LAW/TAX in Hamburg in der Praxisgruppe Energy, Infrastructure & Telecommunication tätig.
  2. [2]
    Ausführliches zu Sachverhalt und Verfahren: Malte Weitner, CuR 2/25, 45 ff.
  3. [3]
    Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 13.05.2025 – EnVR 82/20, ZNER 2025, 337, beck-online.
  4. [4]
    Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 28.11.2024 – C-293/23, NundR 2025, 39, beck-online.
  5. [5]
    Richtlinie (EU) 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.06.2019 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 2012/27/EU (Neufassung), eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/.
  6. [6]
    EuGH, Urteil vom 28.11.2024 – C 293/23, NundR 2025, 39, 41, Rn. 51 und 58 f., beck-online.
  7. [7]
    Vgl. Definition der „Verteilung“ in Art. 2 Nr. 28 der RL (EU) 2019/944.
  8. [8]
    EuGH, Urteil vom 28.11.2024 – C 293/23, NundR 2025, 39 (40), Rn. 53, beck-online.
  9. [9]
    EuGH, Urteil vom 28.11.2024 – C 293/23, NundR 2025, 39 (41), Rn. 58, beck-online.
  10. [10]
    BGH, Beschluss vom 13.05.2025 – EnVR 83/29, ZNER 2025, 337 (339), Rn. 24, beck-online.
  11. [11]
    BGH, Beschluss vom 13.05.2025 – EnVR 83/29, ZNER 2025, 337 (340), Rn. 29, beck-online.
  12. [12]
    Vgl. § 3 Nr. 24a lit. d) EnWG.
  13. [13]
    Burbach/Fabers, Konkretisierung der Anforderungen an eine Kundenanlage, RdE 6-7/2024, 232 (237).
  14. [14]
    Art. 2 Nr. 28 und Nr. 1, Richtlinie (EU) 2019/944.
  15. [15]
    Art. 2 Nr. 28 und Nr. 21, Richtlinie (EU) 2019/944.
  16. [16]
    Vgl. Bundesrat-Drucks. 383/25, Beschluss vom 26.09.2025, S. 18.
  17. [17]
    Vgl. Bundesrat-Drucks. 383/25, Beschluss vom 26.09.2025, S. 19.

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